Liboriusstraße

Liborius Scholz
Bei der Benennung der Pfrontener Wege in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts erhielt ein kleines Sträßchen, das vom Kirchenweg in westliche Richtung abzweigt und ein neues Wohngebiet südlich des Krankenhauses erschließt, den kurzen Namen Liboriusstraße. Viele Einwohner wussten damals noch, wer damit gemeint war. Heute aber, gut 30 Jahre später, sagt der Straßenname vielen jüngeren oder neu hergezogenen Bürgern gar nichts mehr. Wer also war der "Liborius"?

Diesen sehr seltenen Vornamen bekam das erste Kind des Franz Joseph Scholz, der 1850 die Genoveva Keller von Bläsesmühle in Heitlern geheiratet hatte. Das Ehepaar besaß ein Anwesen unmittelbar am Dorfer Weiher (Hs.- Nr. 379, Am Weiher 16). Dort stand die Wiege des kleinen Liborius, der am 21.09.1851 zur Welt kam. Doch schon im Jahr darauf wanderte der Bruder der Mutter nach Amerika aus und verkaufte Bläsesmühle an Franz Joseph Scholz.

Scholz aber war Bauer und kein Müller und so gelang es ihm offenbar nicht, den Mühlenbetrieb auf eine wirtschaftlich erfolgreiche Basis zu stellen. Schon 1859 veräußerte er deshalb Bläsesmühle an den Adam Kienle und kehrte nach dem Kauf von Hs.- Nr. 384 (Am Weiher 10) wieder nach Dorf zurück.

Von seinen beiden Söhnen erhielt der jüngere, Wilhelm, das elterliche Anwesen, während Liborius 1881 durch seine Verehelichung mit Augusta Böck die Einheirat auf das Anwesen Hs.- Nr. 209 in Ried (Am Angerbach 8) gelang. Hier gründete er eine mechanische Werkstatt, so wie sie seinerzeit überall in Pfronten aus dem Boden schossen. 1910 nannte er sich dann Installateur.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit hat sich Liborius Scholz auch stark für seine Heimatgemeinde engagiert. 1893, so wird in den Gemeinderechnungen berichtet, war er Kassier der Freiwilligen Feuerwehr von Pfronten und zwischen 1901 und 1907 sogar deren Vorstand. In dieser Eigenschaft erwarb er 1904 damals neumodische Isolierhandschuhe für die Pfrontener Floriansjünger.

Überhaupt fallen die Lebensjahre des Liborius Scholz in einen Zeitraum, der durch viele Neuerungen geprägt war und Pfronten stark verändert hat. Wir erinnern uns: 1895 fuhr die erste Eisenbahn von Kempten her im neuen Bahnhof Pfronten-Ried ein! Bevor es so weit war, musste viel organisiert werden. Als Beigeordneter - damals in etwa der stellvertretende Bürgermeister - war Scholz dabei, als die Ortsverbindung zwischen Ried und Meilingen deshalb neu angelegt werden musste. Das damalige Gemeindeoberhaupt Franz Xaver Furtenbach war sicher recht froh, dass Scholz diese Aufgabe übernahm, denn nicht alle Pfrontener waren von dem "nuimodische Zeug" begeistert, besonders nicht, wenn es um ein paar Quadratmeter eigenen Grund und Bodens ging!

Auch im Gartenbau war "der Liborius" kompetent. Als man daranging, die Böschung der neuen Bahnhofstraße mit Weißdorn anzupflanzen, war Scholz mit dabei. Und 1905 hielt er bei der Generalversammlung des hiesigen Obstbaumzuchtverein einen bemerkenswerten Vortrag über die früher üblichen Obstgärten in Pfronten und die Aufzucht alter Apfelsorten. Er selbst habe in seinem Garten, so Scholz, einen solchen Baum, der nachweislich 136 Jahre alt sei.

Bruchstückhaft ist in verschiedenen Quellen das weitere Betätigungsfeld des Liborius Scholz überliefert. So taucht sein Vorname auch in einer Strophe des Pfrontener Holzerliedes auf:
Liborius mit der Klubbe
goht in Klausewald nauf
und nimmt des Hölzle
mit Andacht iieds auf...
Scholz hat also mit einer Kluppe, einem Gerät zum Vermessen der Stärke eines Stammes, die Bäume ausgezeichnet, die im Rechtlerwald zum Holzeinschlag frei gegeben wurden.

Während seiner Zeit als "2. Bürgermeister" waren in Pfronten auch wieder einmal Verbauungsmaßnahmen an Vils und Ach notwendig. Bei diesen Arbeiten war Scholz ebenfalls federführend dabei, nämlich als Vorsitzender des sogenannten Vilskorrektionsausschusses.

Der Enkel des Liborius Scholz, Georg Nöß, hält noch ein handgeschriebenes und geklammertes Geheft seines Großvaters in Ehren. Darin führt Scholz penibel Buch über den damaligen Grundbesitz der Pfarrgemeinde und über die Viehweidteilungen in den einzelnen Ortsgemeinden. Für Pfronten-Ried hat er sogar eine Liste angelegt, in der das Alter - so weit bekannt - der einzelnen Anwesen aufgeführt ist. Schade, dass er dieses Verzeichnis nicht auf ganz Pfronten ausgedehnt hat!

Liborius Scholz hatte auch ein Hobby. Das war die Geschichte seiner Heimatgemeinde. Vor allem in späteren Lebensjahren hat er die im Karzer der ehemaligen Rieder Schule ("Kunstkammer" im Haus des Gastes) lagernden alten Akten durchstudiert und Aufzeichnungen daraus gemacht. Ein Ergebnis dieser Nachforschungen war u. a. ein Aufschreibbuch mit dem Titel "Register über verschiedene frühere Pfrontner Vorkommnisse, 1908". Es enthält die schon ziemlich vollständigen Listen aller Personen, die für die Verwaltung der Gemeinde in irgendeiner Weise verantwortlich waren, sowie die aller Geistlichen, Mesner und Lehrer. Diese historische Notizen werden von seiner Urenkelin Maria Keller wie ein Schatz aufbewahrt.

Danach machte sich Scholz an die Niederschrift seiner "Chronik von Pfronten", die er zwischen 1910 und 1913 im Pfrontener Boten, der damaligen Tageszeitung, veröffentlicht hat. Darin listete er chronikalisch wichtige und interessante Begebenheiten aus Pfronten auf. Eine reiche Fundgrube für den Heimatforscher!

Auf dieses Werk war der Liborius ziemlich stolz und so wird es ihm nicht so angenehm gewesen sein, dass er Konkurrenz bekam und zwar in der Person des Postobersekretärs Johann Baptist Doser. Mit ihm scheint Scholz jedoch keine Probleme gehabt zu haben, weil Doser 1925 in seinem Büchlein "Pfronten in Vergangenheit und Gegenwart" schreibt: Dem Andenken dieses Mannes (dem Scholz), meinem persönlichen Freund und gewissenhaften Chronisten, soll hier ein ehrendes Denkmal gesetzt werden.

Nicht so klar kam Scholz dagegen anscheinend mit Ludwig Holzner, dem Schwiegersohn des Johann Baptist Doser. Von ihm, dem späteren Gymnasialprofessor in Regensburg und Verfasser der "Geschichte der Gemeinde Pfronten", fühlte sich Scholz dem Vernehmen nach so in die Ecke gedrängt, dass er am Ende seines Lebens seine Nachforschungen aufgab. Viel Zeit blieb ihm da aber sowieso nicht mehr. Scholz litt nämlich offenbar immer mehr an der Parkinson-Krankheit, so dass eine seiner Töchter aufschreiben musste, was er las.

Am 10.08.1916 verstarb Liborius Scholz, kurz vor Erreichen seines 65. Lebensjahres.

Vor der kompletten Chronik des Liborius Scholz haben wir im Original übrigens nur ein einziges Exemplar. Da haben wir aber Glück gehabt!

 

Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 39, 2006)