Kolpingstraße

Eine Kolpingstraße in Rehbichel! Wie kommt ausgerechnet die Rehbichler "Hauptstraße" zum Namen des berühmten "Gesellenvaters"?

Da müssen wir mit Joseph Köberle beginnen, der 1914 als Pfarrherr in Pfronten aufzog. Köberle hatte hier das Ergebnis des segensreichen Wirkens seines Vorvorgänges Dr. Ludwig Kohnle in der Gestalt des Waisenhauses vor Augen. Das mag für den neuen Geistlichen Motivation und Ansporn gewesen sein. Als sozial denkender Mann und Verehrer des Bruder Georgs gedachte er, für junge Arbeiter in der ständig wachsenden Pfrontener Industrie eine Zufluchtsstätte zu errichten. Sein Vorbild war dabei Adolf Kolping, der 1849 in Köln einen Gesellenverein gegründet hatte und drei Jahre danach dort das allererste Gesellenhaus eröffnen konnte.
Joseph Köberle, Pfarrer in Pfronten (1914-1935)

Man muss den Pfarrer Köberle schon bewundern, mit welcher Hartnäckigkeit er seinen Plan verfolgte – und das in der schweren Zeit nach dem 1. Weltkrieg! Zunächst fand er für den Bauplatz einen noblen Spender, den Xaver Haf vom "Gessele" in Berg ("Villa Goldonkel"). Von ihm wird berichtet, dass er ein sehr frommer Mensch gewesen sei. Außerdem versprach der Haf noch die kostenlose Anlieferung von Betonkies und Sand. Als der Dachstuhl 1927 aufgerichtet wurde, waren das immerhin über 500 Kubikmeter.

Bevor es aber so weit kam, musste Köberle, wo immer er nur konnte, um Geld betteln. Schon ein Fünferlein oder ein Zehner, so schrieb er einmal, sei hochwillkommen. Er ließ auch eine Postkarte mit dem später ausgeführten Entwurf für das "Kath. Gesellenhaus" drucken und bat um eine Spende für das geplante Vereinsheim, dessen Errichtung für Pfronten längst ein dringendes Bedürfnis sei.

Bei so viel Tatkraft ließ sich auch der Gemeinderat von Pfronten-Berg nicht lumpen. Einstimmig wurde beschlossen, 300 Kubikmetern Bauholz kostenlos zur Verfügung zu stellen. Außerdem übernahm die Gemeinde Zins und Tilgung für einen Baukostenzuschuss in Höhe von 15.000 Mark. Auch die damals selbständigen Steinacher versprachen finanzielle Hilfe, doch kam die anscheinend nicht zu Stande. Man muss vermuten, dass die Gemeinde Pfronten-Steinach mit der Finanzierung ihres Großprojektes, dem Schwimmbad an der Vils, vollauf beschäftigt war.

Dass der Bau des Gesellenhauses dennoch zügig vorankam, war vor allem das Ergebnis des Organisationstalentes und der Begeisterungsfähigkeit des Kaplans Arthur Anton Kollerbohm sowie der kostenlosen Fronarbeit vieler Pfrontener. An einem einzigen Tag, so schreibt Pfarrer Köberle in einem Artikel der Augsburger Postzeitung, sei der beträchtliche Erdaushub von den Mitgliedern des Gesellenvereins bewältigt worden, nur mit Pickel und Schaufel! Die erforderlichen Bretter hätten die Sägeweke von Pfronten (und sogar von auswärts!) gratis geliefert und alle Fuhrwerksbesitzer von Pfronten hätten sämtliche Bausteine, Eisenträger, Bauhölzer und Dachplatten ohne irgendwelche Vergütungsansprüche durch freiwillige Hand- und Spanndienste von der Bahnstation bis zur Baustelle transportiert. Bei der Verladung der über 100.000 Bausteine habe man neben Knaben und Mädchen, Männer und Frauen auch einen bereits 82 Jahre alten Greis sehen können.

Das ehemalige Bruder-Georg-Haus

Es stand für Pfarrer Köberle von vorne herein fest, wie das neue Pfrontener Kolpingheim heißen sollte. 1922 waren nämlich die Gebeine des Bruder Georg von Rom in die Kapuzinerkirche nach Kempten gebracht worden und der Prozess seiner Seligsprechung war in Gange. Dem Pfrontener Bauernsohn und Bäckergesellen zu Ehren und zum Andenken an ihn wollte Köberle das Gesellenhaus "Buder Georghaus" benennen.

Köberle war sich bewusst, dass das neue Gebäude seinen Zweck nur erfüllen würde, wenn es mit Leben gefüllt werde. Schon beim Bau war ein Saal mit einer Bühne eingerichtet worden, wo Theater gespielt werden konnte. Im Bruder-Georg-Haus traf sich ein Chor und später öffnete dort auch der erste Pfrontener Kindergarten seine Pforten.

Das weitere Schicksal des Bruder-Georg-Hauses ist weniger ruhmreich. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges hatten sich nämlich 15.000 Mark Schulden angehäuft. Deshalb wurde 1957 ein neuer "Hausbauverein" mit einer neuen Satzung geschaffen. Die Vorstände waren in der Mehrzahl Vertreter der Deutschen Kolpingsfamilie in Köln und der Kolpingsfamilien in der Diözese Augsburg und außerdem die Kolpingsfamilie Pfronten. Laut der neuen Satzung hätte das Bruder-Georg-Haus erhalten werden müssen, nur: Nutzungsrechte waren für die Pfrontener Kolpingfamilie nicht eingetragen.

So nahm das Schicksal seinen Lauf! 1963 wurde das Bruder-Georg-Haus an die Kolpingsfamilie Ulm verkauft. Den Erlös stellte der "Hausbauverein" dem Deutschen Kolpingwerk zum Bau eines Familienferienheimes in Rehbichel zur Verfügung. Man nannte den Neubau "Kolpingheim", aber im Grunde war er das nie. Für die finanzielle Hilfe wurde den Pfrontener Kolpingleuten zwar das Recht eingeräumt, dort Veranstaltungen durchführen zu können. Doch diese störten die Feriengäste und außerdem war der Standort in Rehbichel für eine erfolgeiche Jugendarbeit viel zu abgelegen.

In das ursprüngliche Bruder-Georg-Haus in Berg konnte die Kolpingfamilie aber auch nicht mehr zurückkehren. 1982 nämlich hatten die Ulmer das markante Gebäude um 750.000 Mark an einen Makler verkauft. Der ließ es kurzer Hand abreißen und Ferienwohnungen errichten, jetzt Allgäuer Straße 44. So ist die Kolpingfamilie nun nur noch Gast im damals neuen Pfarrheim.

Im alten "Gsellehaus" habe ich als "Maschgerer" selbst noch als wilder Sioux herumgetollt. Das kann die heutige Jugend nicht mehr.

Schief gelaufen!

Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 49, 2008)