Kirchenweg

Dass der Kirchenweg im Mittelalter die Durchgangsstraße durch den Ortsteil Ried war, sieht man dem schmalen Sträßchen heute nicht mehr an. Vom Kaufhaus Kolb führt es geradewegs nach Berg und teilt dort die ehemaligen Äcker in das „Oberriedfeld“ (Krankenhaus) und „Unterriedfeld“ (BRK-Stützpunkt). Dabei werden die Felder nicht durchschnitten, ein Beweis, dass der Straßenverlauf uralt ist. Schon vor 1600 hat man dann eine „Umgehungsstraße“ gebaut, die heutige Allgäuer Straße.

Kirchenwege der Pfrontner Ortschaften

Seine Bedeutung aber hat der Kirchenweg auch dann noch nicht verloren, denn auf diesem Weg kam die gesamte „Unter Gmoind“ in die Pfarrkirche zum sonntäglichen Gottesdienst, dessen Besuch früher mehr oder weniger verpflichtend war. Und deswegen hat man bei der Vergabe von Straßennamen einen „Kirchenweg“ aus dem Sträßchen gemacht.

Aber Wege, auf denen man zur Kirche ging, gab es in Pfronten mit seinen 13 Ortsteilen selbstverständlich noch viel mehr.

Die Steinacher hatten sogar zwei, nämlich den „Steinacher Kirchweg“, der vom westlichen Ortsteil über den Unteren Hauswang nach Ösch hinauflief und da in die Weglänge mündete. Das war wohl der ursprüngliche „Steinacher“ Kirchweg. Nachdem der Ortsteil aber nach „unten“ (sprich Osten) erweitert worden war, gab es auch „Untere Steinacher“ und die gingen dann auf dem „Untersteinacher Kirchweg“ hinauf zur Pfarrkirche. Sie benutzten einen Pfad, den man später – fälschlicherweise – „Römerweg“ nannte, kreuzten die jetzige Badstraße und erreichten schließlich im sogenannten Rieder Ösch die Weglänge, die auch die „oberen“ Steinacher und die Öscher Kirchgänger benutzten. Beim Gasthof Adler traf man dann die Dorfer und Heitlerner, die keinen eigenen Kirchenweg brauchten, weil sie auf der Landstraße gehen konnten.

Auch die Leute aus dem Drittel (Meilingen) hatten zwei Routen zur Pfarrkirche. Die Gläubigen im Burgweg stiegen bei ihrer Kapelle Zu Unserer Lieben Frau hinab bis zu Kaspars Mühle und nahmen dann den heutigen Wiesenweg. Im Birkenweg vereinigte sich die Schar der Burgweger mit den Kirchgängern aus Imnat und („Unter“-)Meilingen. Diese kam auf der „Lehengasse“ (= Meilinger Straße) von der Achbrücke herüber.

Einen längeren gemeinsamen Kirchenweg hatten die Röfleuter und Haldener. Erstere verließen ihre Häuser am (damals) östlichen Ende des Dorfes und nahmen da den heutigen Kapellenweg. Er endet vorne an der steilen Halde und vereinigt sich hier mit dem „Haldener Kirchweg“, der sogar im Ortsplan so zu finden ist. Über das Koch und am Friedhof vorbei ging es dann zur Pfarrkirche.

Der Verlauf des Kappeler Kirchenwegs ist nirgends schriftlich dokumentiert. Pius Lotter erzählte einmal, dass die Kappeler früher über die Einfänge nach Berg gelaufen wären. Die Kappeler also, und nicht die Untersteinacher, hätten dann wirklich einen Römerweg benutzt. Nur: Zwei andere, auf Grund ihres Alters kompetente Kappeler, Hans Keller und Josef Metz, können sich nicht an eine solche Überlieferung erinnern. Ihre Väter jedenfalls haben so um 1930 schon Fahrräder gehabt und deshalb verständlicherweise die Landstraße nach Weißbach benutzt.

Von allen Pfrontenern den weitesten Weg hatte der Moosmüller. Seine Mühle lag zwischen Kappel und Rehbichel. Um in die Pfarrkirche zu kommen, gab es einen Fußweg, dessen Verlauf im Kataster von 1836 genau beschrieben und als „Mossmühl Kirchweg“ bezeichnet ist. Er durchschneide die Durrach-Wiesen und die Durrach-Äcker und komme bei Pl.- Nr. 118 auf die Landstraße. Im Winter mag der Moosmüller wohl einige Male um sein Seelenheil gebangt haben. Diese Wegstrecke vom Schnee freizuschaufeln und auch jeden Sonntag freizuhalten, war eine Aufgabe, für die die Moosmühlenbewohner das Paradies schon alleine verdient haben.

Grundsätzlich nahm jeder Kirchenweg ursprünglich die kürzeste Route. Die Rehbichler gingen zunächst auf dem noch heute bestehenden Fußweg in Richtung Weißbacher Industriegebiet. Dort bogen sie aber nicht auf die jetzige Rehbichler Straße ein, sondern überquerten auf einer Brücke – sie ist tatsächlich noch immer vorhanden – den Weißbach. Über ehemalige Felder, die nun durch die Zimmerei Bach und das Sägewerk Schneider überbaut sind, trafen sie weiter oben dort auf die Landstraße( B 310), und zwar genau dort, wo nun der Weg „Am Lerchenrain“ abzweigt. Bis hierher ist der Rehbichler Kirchenweg dokumentiert. Danach sind die Kirchgänger – vermutlich – quer über die Geigerhalde gegangen und gelangten schließlich auf dem heutigen Lindenweg zur Landstraße (B 309). An diesen Kirchenweg aber können sich alte Rehbichler auch nicht mehr erinnern. Sie berichteten, dass man auf der Rehbichler Straße zur Ortsmitte von Weißbach gegangen sei und von da nach Berg.

Jetzt müssen wir nur noch die Kreuzegger zum Sonntagsgottesdienst gehen lassen. Ihren Kirchweg kann man leicht nachvollziehen, weil er als Fußweg immer noch besteht. Nach der Achbrücke bogen die Kreuzegger in den Schönblickweg ein und erreichten dann auf dem Bitzweg die „Kaiserliche Landstraße“, so wurde der alte Fahrweg über den Ortsteil Berg früher genannt.

Dass Kirchgänger ihren Weg nicht schweigsam zurückgelegt oder gar gebetet haben, dürfen wir als sicher annehmen. Ganz im Gegenteil, das war eine wunderbare Gelegenheit zum Austausch von neuesten Nachrichten, darunter auch solche, deren Wahrheitsgehalt nicht nachzuprüfen war. Bloß gut, dass niemand die Gespräche aufgeschrieben hat.

Wir dürfen auch annehmen, dass die Kirchgänger nicht wie in einer Prozession gelaufen sind. Das gab es sicherlich größere und kleinere Gruppen, an denen man leicht hätte ablesen können, wer gerade mit wem in den Haaren lag. Ganz sicher nicht miteinander gelaufen sind der Joseph Haf und der Stephan Schwaiger. Die Beiden hatten nämlich 1770 auf dem Kreuzegger Kirchweg eine fürchterliche Rauferei, wobei dem Haf eine heftig blutende Wund über dem linken Auge zugefügt wurde.

In Steinach gibt es übrigens heute noch einen „Kirchweg“. Der aber ist kein echter Kirchenweg. Da geht man nicht zur Kirche, sondern nur um sie herum!

Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 52, 2009)