Jagdhausweg

Man braucht schon ein gutes Stück Phantasie, um sich vorstellen zu können, wie das Flussbett der Vils ausgesehen hat, als vor etwa 1000 Jahren die ersten Alemannen in unser Tal kamen. Gleich nachdem der Fluss der Enge des Vilstales entronnen war, verbreiterte er sein Bett um ein Vielfaches und durchströmte in vielen Haupt- und Nebenarmen die Pfrontener Flur. Zwischen großen Wasserläufen und kleinen Rinnsalen lagen ausgedehnte Kiesbänke, auf denen sich wasserliebende Weiden ansiedelten. Daher bekam das Gebiet rechts und links des Flusses den Flurnamen "Weidach". Hier konnte er sich bei Hochwasser so richtig austoben und es wird nicht selten vorgekommen sein, dass der wilde Geselle danach einen völlig anderen Verlauf nahm.
Auszug aus der Uraufnahme 1818

Das wird der Grund sein, warum die Mark zwischen Ried und Dorf dort so eigenartig verläuft, wo die Vils nach Süden abbiegt. Normalerweise bildet der Fluss genau die Grenze zwischen den einzelnen Ortsteilen, doch hier im "unteren Weidach" greift die Flur von Ried über die Vils hinüber, so dass der heutige Jagdhausweg ein Feldweg war, der den Dorfgenossen von Ried gehörte.

Noch vor 150 Jahren nannte man den Weg allerdings nicht so. Damals hieß er nach seinem Endpunkt, der etwa beim heutigen Bahnübergang lag, "Weg in die Schinderweidachteile". Der Schinder war der Abdecker, der gefallenes Vieh so zu entsorgen hatte, dass von ihm keine Gefahr für die gesunde Herde ausging. Welcher Platz wäre da nicht günstiger gewesen, als das abgelegene, unkultivierte Terrain in der Vilsbiegung?

Um 1800 allerdings war das Vilsbett bei weitem nicht mehr so breit und der Verlauf des Flusses nicht mehr so wild und ungeordnet wie ursprünglich. Von der Bläsismühle bis zur Vilsbrücke herab und noch ein Stück darüber hinaus war das Gewässer durch Uferverbauungen schon so weit korrektioniert, dass man auf die angrenzenden Flächen das Vieh zum Weiden treiben konnte.

Anfangs des 19. Jahrhunderts, möglicherweise 1806, getraute man sich sogar am Südufer der Vils, abwärts der Vilsbrücke, ein kleines Haus zu errichten. Dort wohnte, wahrscheinlich als Mieter der Ortsgemeinde Ried ein Johann Hotter (1772 - 1834), ein ehemaliger fürstbischöflicher Jäger, der bei der Auflösung des Hochstifts Augsburg nicht in den Dienst des bayerischen Staates übernommen worden war. Man nannte den Hotter allgemein das "Bussejägerle" und ließ ihn mit seiner Familie hier wohnen, weil die Gemeinde offenbar für seine Unterkunft zu sorgen hatte. Dem Bussejägerle ging es anscheinend hier nicht gut, seine Behausung war ein sogenanntes "Lehrhaus", es gehörten also keine Felder und selbstverständlich auch kein Gemeinderecht dazu. Hotter war deshalb auf eine Taglöhnerarbeit angewiesen. Bei der Geburt seiner Kinder wird er einmal als Hirte und ein anderes Mal als Maurer bezeichnet. Der Nachbar von Hotter war der nicht weniger unterprivilegierte Gemeindediener "Mangkaddä" (Magnus Thaddäus) Trenkle, der wohl öfters beim Hotter zu Gast war. 1828 jedenfalls bekam Hotters noch nicht einmal 16jährige Tochter ein Kind von ihm. 1834 starb Hotter altersschwach nach langer, mit großer Geduld ertragener Krankheit. Nach der Familie Hotter lebte im "Jägerhaus" dann wahrscheinlich der königliche Förster Joseph Föhr mit seiner Familie. Über ihn geben die Akten im Pfrontener Gemeindearchiv nichts her.

Jagdhaus - Villa Bieringer

Die "Hütte" des (ehemaligen Jägers) Johann Hotter und wahrscheinlich auch des Försters Föhr hatte im Grunde genommen nichts mit einem "Jagdhaus" zu tun. Das änderte sich erst, als der königliche Forstmeister Clemens Heindl (1814 - 1884) hier aufzog. Das war vermutlich 1862, wie die abgebildete Postkarte zeigt. Heindl erwarb offenbar das gesamte Gelände zwischen Jagdhausweg und der Vils bis hinab zur heutigen Eisenbahnlinie und ließ anstelle des alten, unansehnlichen "Jagdhauses" eine repräsentative Villa errichten.

Heindl genoss die Gunst des bayerischen Königshauses, das seit 1857/58 die Pfrontener Jagd gepachtet hatte. Es sieht so aus, als wollte damals König Maximilian II. und seine preußische Gattin Marie die Bedeutung des Vertragsabschlußes durch ihre persönliche Anwesenheit unterstreichen. In der Fallmühle war jedenfalls schon alles zu einem festlichen Empfang hergerichtet. Klement Doser (von Kreuzegg 128?) hatte Pulver für die Böllerschützen besorgt und Vorrichtungen zum Schießen aufgebaut und Joseph Füllenböck von Meilingen stand bereit, das königliche Paar musikalisch zu erfreuen. Dass bei diesen Vorbereitungen auch eine ordentliche Brotzeit für die Beteiligten heraussprang, versteht sich von selbst. Doch dann kam alles offensichtlich doch anders, denn in den Gemeinderechnungen wird nur von einem "vorhablichen" und "vermeintlichen" Besuch der hohen Gäste gesprochen. Tatsächlich in Pfronten war dann aber die Königin Marie mit ihren beiden Söhnen Ludwig und Otto. So verkündete es jahrzehntelang eine Tafel an der ehemaligen Linde im Biergarten des Gasthofs Adler, wo es hieß, dass Ihre Majestät mit ihren Söhnen am 18. August 1861 hier geweilt habe.

Ob Marie damals auch das Jagdhaus beehrt hat, muss angezweifelt werden. Seine Glanzzeit kam erst, als Prinz Ludwig von Bayern 1869 für zunächst 15 Jahre die Pfrontener Jagd pachtete. Dieser Prinz Ludwig darf nicht mit König Ludwig II. verwechselt werden, der sich - wie wir wissen - zwar öfters in Pfronten aufhielt, aber offenbar keine großen Empfänge liebte. Die Gemeinderechnungen jedenfalls weisen - außer für das übliche Böllerschießen am Geburts- und Namensfest des Königs - keine entsprechenden Ausgaben auf. Der angesprochene Prinz Ludwig war sein Vetter, nämlich der Sohn des späteren Prinzregenten Luitpold von Bayern. Dieser Prinz Ludwig war ein großer Freund der Jagd und demzufolge sehr oft in Pfronten. Schon zu Lebzeiten seines königlichen Vetters Ludwig II. mietete er für über 40 Jahre das ganze erste Stockwerk in der Villa an.

Jetzt herrschte ein reges Kommen und Gehen im Pfrontener Jagdhaus. 1888 besuchte es der Sohn von Prinz Ludwig, der erst 1955 verstorbene Kronprinz Rupprecht von Bayern, und ein Jahr danach wieder sein Vater. Dabei wurde jedes Mal zu Ehren der hohen Gäste geschossen, was das Zeug hielt, und Bergfeuer leuchteten vom Breitenberg, Kienberg oder Falkenstein herab. Es war die Zeit des beginnenden Fremdenverkehrs und da verstellt man schon mal etwas! 1895 veranstaltete man am Namenstag des Prinzen Ludwig sogar einen nächtlichen Umzug, wozu man 75 Fackeln beim Pechfabrikanten Joseph Haf in Steinach anschaffte.

Inzwischen war im Jagdhaus eine Änderung eingetreten. Nach dem Ableben von Forstmeister Heindl hatte 1890 dessen Tochter Theresia (1869 - 1954) den königlichen Hauptzollamtskontrolleur Eduard Bieringer (1851 - 1928) geheiratet. Aber auch jetzt gingen natürlich die zahlreichen Besuche der hohen Herrschaften weiter. 1897 kam Ludwigs Tochter, die Prinzessin Marie von Bayern, mit ihrem eben angetrauten Ehemann Prinz Ferdinand von Bourbon, Herzog von Kalabrien, hier an. Dabei wurde ein Feuerwerk abgebrannt, das 37 Mark kostete und wofür man damals immerhin 150 Maß Bier bekommen hätte. 1899 wurde wieder ein Fackelzug am Namenstag des Prinzen Ludwig veranstaltet und im Jahr darauf verehrten die Pfrontener der Prinzessin Mathilde eine "Perlmuttermuschel" aus Bethlehem, die Pfarrer Kohnle besorgt hatte. 1901 war man noch ein bisschen großzügiger: Prinz Rupprecht erhielt ein Jagdgewehr für 105 Mark. Dieses gute Stück hat sicher so manchem Pfrontener Wilderer aus Neid die Tränen in die Augen getrieben!

Besuch von König Ludwig III.

Ein ganz besonderes Fest, bei dem das Jagdhaus sicher auch wieder einen großen Tag hatte, war der 90. Geburtstag des Prinzregenten Luitpold im Jahre 1911. Alles war auf den Beinen, in der Kirche hatte man für den Jubilar einen Thron aufgebaut, die Musik rückte aus und für die Mädchen, die eine Lobeshymne vortragen durften, gab es Salzspitz und Würstchen.

Das war wohl das letzte Mal, dass das Jagdhaus den Prinzregenten sah. Aber auch für Prinz Ludwig, inzwischen nach dem Tod seines Vaters selbst Prinzregent, neigten sich die Jagdausflüge nach Pfronten dem Ende zu. Im Mai 1913, noch vor seiner Ausrufung zum König Ludwig III. kam er noch einmal hierher und wurde von fähnchenschwingenden Kindern herzlich empfangen. Doch schon bald danach warf der Ausbruch des 1. Weltkrieges seine Schatten voraus und da hatte der König wohl Besseres zu tun, als in Pfronten auf die Pirsch zu gehen.

Besuch des Herzogs von Kalabrien

Einmal noch, schon mitten im Krieg, reiste der Herzog von Kalabrien mit seinen Töchtern hierher. Das war sicher ein aufregender Tag für den siebenjährigen Eugen Bieringer (1908 -2000), als er auf der sonderbaren Kutsche mitfahren durfte!

Inzwischen ist es um das Jagdhaus in "Bieringers Wäldle", wie man das ganze Grundstück heute nennt, ruhiger geworden. Die "gute alte Zeit", in der sich die höchsten Herrschaften hier die Hand reichten, gehört der Vergangenheit an.

Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 12, 2001)