Im Lehengund

Man muss schon beide Augen zudrücken, wenn man den Rieder Ortsweg „Im Lehengrund“ mit der Flur in Verbindung bringen will, für die der Straßenname geschaffen wurde und deren frühere Bezeichnung dadurch erhalten werden soll. Einen „Lehengrund“ hat es eigentlich nie gegeben, wohl aber das „Lehen“. Es war im Großen und Ganzen das Gebiet in Ried östlich der Bahnstrecke Kempten - Reutte und nur die heutige Plannummer 2670 auf ihrer westlichen Seite berührt tatsächlich noch den Weg „Im Lehengrund“. Das Lehen ist flurkundlich hochinteressant

 
Im Lehengrund
Man muss schon beide Augen zudrücken, wenn man den Rieder Ortsweg „Im Lehengrund“ mit der Flur in Verbindung bringen will, für die der Straßenname geschaffen wurde und deren frühere Bezeichnung dadurch erhalten werden soll. Einen „Lehengrund“ hat es eigentlich nie gegeben, wohl aber das „Lehen“. Es war im Großen und Ganzen das Gebiet in Ried östlich der Bahnstrecke Kempten - Reutte und nur die heutige Plannummer 2670 auf ihrer westlichen Seite berührt tatsächlich noch den Weg „Im Lehengrund“. Das Lehen ist flurkundlich hochinteressant.
In Pfronten gab es spätestens im 16. Jahrhundert weitgehend eine privatwirtschaftlich genutzte Feldflur. Daneben hatte aber jeder Ortsteil auch Flächen, die von allen Bauern eines Ortsteils, den sogenannten „Ortsrechtlern“, gemeinsam genutzt wurden. Ihr Besitz ist in den letzten Jahrzehnten in den meisten Fällen von der politischen Gemeinde abgelöst worden. Jene Gebiete aber, die allen Ortsrechtlern von Kappel bis Steinach, „Pfarrgenossen“ oder „Pfarrrechtler“ genannt, seit uralten Zeiten gemeinsam gehörten, diese Gebiete konnten die Pfrontener Rechtler bis heute als ihr Eigentum verteidigen. Es sind fast nur Wälder und Wiesen in den Pfrontener Bergen und es gab da nur eine Ausnahme, eben das „Lehen“. An diesem Gebiet zwischen den Ortsteilen Ried und Meilingen scheinen ursprünglich alle 435 Pfrontener „Pfarrgenossen“ ihren Anteil gehabt zu haben, jedenfalls war noch bis in das letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts die „Lehenviehweide“ in ihrem gemeinsamen Besitz. Durch diese Viehweide führte die „Lehengasse“, die heutige Meilinger Straße.
Südlich daran stießen die Lehenäcker und -wiesen und in Vilsnähe ein Ödland, das im Überschwemmungsgebiet des damals noch nicht korrektionierten Flusses lag. Dieses ganze Gebiet zählte schon im 18. Jahrhundert zur Ortsgemeinde Ried und wurde größtenteils von Privaten genutzt. Das können wir einem Amtsprotokoll des Jahres 1743 entnehmen. Damals gerieten die Rieder mit ihrem Schmied Johann Suiter heftig aneinander, weil Suiter in Ortsnähe seine Kohlen brannte und dadurch, zumal bei Wind, zu einer Gefahr für die alten Holzhäuser wurde. Die Rieder boten nun dem Suiter einen Tausch an. Suiter sollte ein Feld und ein kleines Moos im „Lechen“ hergeben und dafür ein ebenfalls dort, aber weiter vom Ort entfernt liegendes, Feld und Moos erhalten, das bis dahin zum Widumgut gehörte und vom Pfrontener Amtmann genutzt wurde. Dort durfte Suiter nun Hauen, Bauen und Nutzen genießen, Kohlen brennen und Holz legen. Außerdem war er befugt, das benötigte Holz auf der Vils bis zu seinem neuen Grund und Boden zu schwemmen. Durch dieses Grundstück führt heute der Tulpenweg, der eigentlich „Kohlstatt“ heißen müsste.

Die nördlich daran anstoßenden Felder, das jetzige Gelände des Seniorenzentrums "Alpenpark", nannte man nun „Kohlstattäcker“. Dort ließ übrigens Johann Suiter 1756 am Weg zu Kaspars Mühle eine noch vorhandene Sandsteinsäule errichten. Auf Suiters Kohlstatt entstand später eine Schlosserschmiede, die 1836 zu Hausnummer 343 in Steinach („Schlosserle“) gehörte. Sonst war das Lehen zwischen Ried und Meilingen bis dahin auf der rechten Seite von jeder Bebauung frei. Eine Ausnahme bildete nur noch der „Saliter“, der seine Salpetersiederei wegen der ebenfalls davon ausgehenden Brandgefahr von Meilingen hierher verlegen durfte. Auch das zeigt, dass im Lehen nicht nur die Rieder das Sagen hatten.

Die Lehenviehweide aber war, wie erwähnt, damals immer noch in der Hand aller Pfarrgenossen. Hier, auf Pfarrsgrund, hatte man aus unbekannten Gründen bereits 1705 dem bischöflichen Jäger Georg Keck den Bau eines neuen Hauses erlaubt, das folgerichtig nach dem Standort den Hausnamen „Lehenbauer“ oder „Leacher“ (heute: Meilinger Str. 38) erhielt. Etwa in der Mitte der „Lehengasse“ zweigte in Richtung Berg der Meilinger Kirchweg ab, der heutige Birkenweg, den man besser „Beim Ziegelstadel“ benannt hätte. Hier stand nämlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Ziegelstadel mit Brennofen, der dem Joseph Stick in Heitlern 422 (Adolf-Haff-Weg 7) gehörte. Mit Stick und seinen Kindern hatte die Pfarrgemeinde so ihre liebe Not, weil die Stickischen Relikten auch dort im Lehen nach Lehm suchten, wo es ihnen nicht erlaubt war. Es kam zu einem Prozess, der vermutlich mit dafür verantwortlich war, dass die Erben des Stick auf der Ziegelei verganteten. 1869 erwarben aus der Gantmasse die beiden Pfarrgemeinden Berg und Steinach die Plannummern 2712 1/3 (Ziegelstadel) und 2712 1/3 (Brennofen) samt dem Recht zum Materialgraben. Das heutige Haus Birkenweg 16 geht im Kern auf diese Ziegelei zurück.
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts lösten sich dann auch in Pfronten die von alters her gewachsenen Strukturen langsam auf. Es kamen immer mehr Neubürger ins Tal und auch Kinder von Pfarrgenossen, die nicht das elterliche Anwesen bekamen, wollten hier Wohnhäuser erbauen. Alle diese Nicht-Rechtler nutzten aber die Gemeinschaftseinrichtungen, die die Pfarrgemeinde geschaffen hatte, so zum Beispiel den Friedhof, der 1840 wieder einmal zu klein wurde. Seine Vergrößerung konnte nur dadurch geschehen, weil die Rechtler ein Stück aus dem Lehen zum Tausch anboten. Flurnummer 2712 1/2, nördlich der Ziegelei, erhielt daher den eigenartigen Flurnamen „Gottesackerhaldenwies“.
Es wird wohl die Befürchtung gewesen sein, noch mehr für die Allgemeinheit hergeben zu müssen, die die beiden Pfarrgemeinden 1847/48 bewog, sich von ihrem Besitz im Lehen zu trennen. 1852/53 veräußerten sie zunächst drei lukrative Lehenwiesen um insgesamt 841 Gulden, dann 1867 einen Großteil der bis dahin verpachteten Lehenviehweide und 1873 schließlich das Lehenmoos. Mit diesem Verkauf haben die Pfrontener Rechtler ihren letzten großen Besitz in Tallage aufgegeben und sich damit wohl auch manche Probleme mit der politischen Gemeinde erspart.

Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 3, 1999)