Dornierstraße

Uhrenfabrik in Weißbach um 1910
So ab 1850 geschah Erstaunliches in Pfronten!
Jahrhundertelang gab es hier eine relativ dünne Oberschicht begüterter Bauern, deren einzige Sorge der Erhalt ihres Besitzes war. Ihnen stand eine große Zahl von Klein- und Kleinstbauern gegenüber, die sich schlecht und recht von den Erträgen ihrer Ökonomie ernähren konnten und denen nicht selten das Wasser bis an den Hals reichte. Zu ihnen gesellte sich dann noch eine Menge von unverheirateten Dienstboten mit wenig Aussichten auf einen bescheidenen Wohlstand.

Jetzt aber eröffneten immer mehr feinmechanische Betriebe ihre Pforten und gaben den armen Schluckern im Tal Arbeit und Brot. Statt einem Webstuhl stand nun eine Drehbank in der Stube, wo der Hausvater in Heimarbeit durch Drehen und Fräsen ein Zubrot verdienen konnte. Aber auch Fabriken wurden gebaut, darunter 1899 die Uhrenfabrik Dorn und Steiner in Weißbach, gleich in unmittelbarer Nähe der neuen Eisenbahnhaltestelle. Stolz, sehr stolz waren sie, die Weißbacher auf das schöne neue Fabrikgebäude! Deswegen haben sie es gleich auf einer Ansichtskarte von 1908 abgebildet.

Diese Uhrenfabrik, die ab 1906 als Metallwerk Pfronten firmierte, wurde 1935 ein Zweigwerk der Dornierwerke in Lindau, die damals - nicht zuletzt wegen Hitlers Kriegsvorbereitungen - recht gut florierten. Dazu brauchte man viele Arbeiter, auch Fachleute von auswärts, die in dem immer noch recht bäuerlich orientierten Pfronten nur schlecht eine Bleibe fanden.

So kam die Idee auf, in der Nähe der Fabrik ein "Neubaugebiet" zu schaffen, wo sich die Arbeiter ein dauerhaftes Heim schaffen konnten. Die Grundlage dafür bot das damalige Reichsheimstättengesetz. Nachdem man unter tätiger Mithilfe des damaligen Bürgermeisters Martin Haff endlich in Kreuzegg ein passendes Baugelände gefunden hatte, musste noch die Finanzierung sichergestellt werden, denn ein Häuschen sollte 8.500 Reichsmark kosten. Die sehr bescheidenen Eigenmittel der bauwilligen Siedler wurden dabei aufgestockt durch staatliche Darlehen und nicht zuletzt durch die Firma Dornier, die 29.000 RM zinslos zur Verfügung stellte.

Am 29. Juli 1939 war es dann soweit. 25 Siedlerkameraden begannen mit dem "Kampf" um die Herstellung einer eigenen Wohnstätte. Der Baugrund musste noch mit der Hand ausgehoben werden und auch sonst legte man, wo es ging, selbst Hand an. In der Not halfen sich die Siedler gegenseitig aus. Das war vor allem der Fall, wenn ein Siedlerkamerad zum Wehrdienst einberufen wurde. Welche Schwerstarbeit hier geleistet wurde, kann man erst ermessen, wenn man bedenkt, dass sie oft noch nach einem 12-Stunden-Tag in der Fabrik erledigt werden musste.

Wenn man die kleinen Häuschen mit ihren 70 m² Wohnfläche (ohne Obergeschoss) sieht, wundert man sich über die relativ großen Gärten. Der Grund lag in der Absicht, dass sich die Bewohner durch Gartenbau nach Möglichkeit selbst versorgen konnten. Manche hielten dazu auch Hühner und Enten, einer gar Schweine. Noch eine Besonderheit ist an den Häusern zu vermerken. Alle mussten einen Luftschutzraum mit Betondecke haben, während die anderen Böden wie herkömmlich von Balken getragen wurden. Diese Maßnahme war von oben angeordnet und zeigt, dass selbst bei einem so friedlichen Unternehmen der kommende Krieg von langer Hand vorbereitet wurde.

Vier Jahre nach Ende dieser unglückseligen Zeit kam dann für die Siedler ein besonderer Freudentag. Durch notarielle Urkunde wurden ihnen nach siebenjähriger Verzögerung die Häuschen als rechtmäßiges Eigentum zugeschrieben. So haben sich alle Mühen und Sorgen schließlich doch gelohnt.

Als dann auch in Pfronten Straßennamen immer notwendiger wurden, waren die Kreuzegger Siedler die ersten, die ihren drei Straßen einen Namen gaben. Bei ihrer "Hauptstraße", die von der Kreuzegger Kapelle geradeaus in das Wohngebiet führt, erinnerten sie sich an den Namen, dem sie so viel zu verdanken hatten: Dornier.

Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 21, 2002)

Literatur: Max Häckler, 40 Jahre "Dorniersiedlung" Pfronten 1941 - 1981