Achtalstraße

 

Durch jeden Ortsteil von Pfronten gab es früher eine – wenn man so will – „Hauptstraße“. Die nannten die Leute dann „Gasse“. In Steinach begann die Gasse an der heutigen Bundesstraße beim „Meiler“ (Gasthof Aggenstein) und führte in westliche Richtung durch den alten Ortskern von Steinach. Hier sammelte am Morgen der Dorfhirte seine Herde ein, hier waren die drei Dorfbrunnen der Steinacher und da war immer jemand für ein Schwätzchen zu haben. Am Ende der Ortschaft begannen dann die Felder vom Stockach und deswegen nannte man die Straße auch Stockachgasse.

 

 

Die Kraft des Flusses

 

Danach führte der Weg weiter in das Achtal hinein, mal näher an der Dürren Ach, mal etwas weiter weg, immer dort, wo er einigermaßen geschützt war vor den immer wiederkehrenden Hochwässern des früher noch ungezähmten Flusses. Er hat oft große Schäden an den Feldern angerichtet, indem er sie im günstigsten Fall mit Geröll übersät hat. Es kam aber auch vor, dass er tiefe Rinnen in die Grundstücke gerissen hat und deshalb die Flur samt Straße in Gemeinschaftsarbeit wieder mühsam hergestellt werden musste.

 

Nach einer Weile öffnet sich das Tal zwischen Breitenberg und Kienberg. Dort errichtete der Nikolaus Reichart um 1787 ein Mühlanwesen, wo er Flachssamen malen konnte, um das begehrte Leinöl gewinnen zu können. Obwohl die Anzahl der Rechtler damals auf 434 begrenzt war, gelang es ihm, für seinen Neubau noch eine weitere „gerade“ Hausnummer (435) zu bekommen und damit Rechtler zu werden.

 

Brücke bei der Fallmühle

 

Gleich nach der Fallmühle beginnt ein kurzer Anstieg auf einen Querriegel, wo sich die Dürre Ach tief in den Fels eingefressen hat. Das war eine ideale Stelle, um durch eine Staumauer den Flusslauf aufzuhalten und seine Kraft auszunützen. 1896 hat man hier ein – allerdings nur kurze Zeit genutztes – E-Werk gebaut.

 

Danach wird das Tal sehr eng und dementsprechend schmal war hier auch die Achtalstraße. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwierig und sogar gefährlich es war, wenn hier ein schweres Fuhrwerk mit Wiesheu oder Baumstämmen entlang fuhr. Da hieß es höllisch aufpassen, dass die Zugtiere ruhig ihre Last zogen.

 

 

Ständig in Lebensgefahr

 

Das gefürchtetste Wegstück aber war Hoinggelesteig, nicht nur wegen des schlechten Zustandes der Straße! Wer heute auf der neuen Achtalstraße entlang braust, macht sich keine Vorstellungen, wie steil und eng die Passage zwischen den Ausläufern des Breitenbergs und der Ach war. 1827/28 hat man versucht, in mühevoller Handarbeit durch eine Verbreiterung die Gefahrenstelle zu entschärfen. Doch so ganz scheint das Werk nicht gelungen zu sein. 1840 heißt es, dass man auf der Straße nach Tannheim "ohne Lebensgefahr nicht fortkommen könne". Die Gemeinde Pfronten werde deshalb aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Aber erst 1863 – gut Ding will Weile haben – legte man "an dem Berghügel Heinkelesteige“ eine neue Wegstrecke an, nachdem ein Hochwasser die Straße zerstört hatte.

 

Hoinggelesteig - heute

 

Trotzdem blieb dieses Teilstück ein Sorgenkind, denn das Regenwasser hat die Trasse immer wieder beschädigt. Kein Wunder, dass man am oberen Ende der Steige eine Bildtafel errichtet hat, wo der Fuhrmann den Hut ziehen und ein Dankgebet verrichten konnte. 1880 hat der Maler Engelbert Geisenhof für die Reparatur des Bildes auf der Henkelesteig 3 Mark bekommen.

 

Wer dann Hoinggelesteig schließlich glücklich überwunden hatte, durfte sich auf seinem Kutscherbock etwas zurücklehnen und die Fahrt durch die Langen Oiben genießen. Vielleicht träumte der Fuhrmann auch von einem Schoppen Tiroler Roten, den wohl schon damals der Hirte in der Seealp bereithielt. Der Wein war nicht selten geschmuggelt, denn die Alpe ist zwar Pfrontner Wirtschaftsgebiet, liegt aber bereits auf österreichischem Boden. Hier war auch die Fahrt für die Pfrontner dann meistens zu Ende.

 

 

Brennpunkt Grenzgebiet

 

Nur wer ins Tannheimer Tal wollte, hatte noch eine Engstelle zu überwinden, die auch so heißt. Die Enge zwischen Kobelkopf und den Steilwänden des Rappenschrofens war immer dann ein Brennpunkt des Geschehens, wenn sich die Bayern und die Tiroler in den Haaren lagen. Im österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) war die Enge durch Soldaten besetzt. Das erfahren wir aus der Gemeinderechnung 1745/46: Damals sind einige Pfrontner ihre Marken durchgegangen und sind bey den Soldathen in der Enge Jber Nacht Verbliben.

 

In den Koalitionskriegen zwischen Frankreich und dem übrigen Europa (1792 bis 1815) nutzten die Tiroler die Talenge, um ihre Heimat gegen die mit Napoleon verbündeten Bayern zu schützen. Sie errichteten dort ein Bollwerk aus Baumstämmen. Als im Frieden zu Preßburg dann Tirol den Bayern zugesprochen worden war, verlor die Befestigungsanlage ihren Wert. Die Pfrontner mussten mit Werkzeug und Schubkarren ins Achtal und die Sperre demolieren. Sie haben die Balissaiden (Palisaden) ausgegraben und das Holz an den Nagelschmied Matheus Fillenbeck in Dorf 395 verkauft. Immerhin konnte dafür die Gemeindekasse noch 37 Gulden als Einnahme verbuchen.

 

Die Achtalstraße war eine sogenannte Vizinalstraße, weil sie zwei Orte miteinander verband. Für die Unterhaltskosten war immer Pfronten zuständig und die Gemeinde ist es auch heute noch, obwohl die neue Achtalstraße das ganze Tannheimer Tal komfortabel mt dem Autobahnende verbindet. Deshalb möchte die Gemeinde auch gerne das kostenträchtige Objekt an Vater Staat los werden.

 

Oh, wenn der doch ein Einsehen hätte!

 

Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 55 Juli 2010)